Nach Shibuya, dann zu Fuß nach Norden


Shibuya - Dieser Name klang für mich immer wie ein mystischer Zauberspruch aus langen vergessenen Tagen. Eine alte Kunst, die nur noch wenigen Eingeweihten vertraut ist. Mystisch und vergessen sind zwei Adjektive, die auf den Stadtteil Shibuya überhaupt nicht zutreffen. An wenigen Orten in der Metropole Tokio schlägt der Plus des Lebens so kräftig wie dort. Shibuya ist modern, bunt und lebendig. Belebte Geschäfte und riesige Werbeschilder prägen das Straßenbild um den Bahnhof Shibuya Station. Etwas ruhiger wird es in Shibuya erst, wenn man sich weit von Bahnhof entfernt.

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Das Hachiko-Denkmal

Shibuya Station ist einer der größeren Bahnhöfe der Metropole Tokio. Mehrere Linien der Metro, und einige oberirdische Zugstrecken, laufen dort zusammen. Einer der beliebtesten und belebtesten Ausgänge der Station ist Hachiko Gate, benannt nach dem Hund Hachiko, dessen Denkmal auf dem Bahnhofsvorplatz steht.
Die Geschichte des Vierbeiners ist in Japan sehr bekannt, obwohl sie sich vor fast hundert Jahren zutrug. Hachiko war der Hund von Ueno Hidesaburō, einem Professor an der kaiserlichen Universität Tokio. Der Hund hatte die Angewohnheit, sein Herrchen am Bahnhof Shibuya zu empfangen, wenn der Gelehrte von der Universität nach Hause kam. Dieses Verhalten setzte Hachiko unbeirrt für weitere zehn Jahre fort, auch nachdem Ueno Hidesaburō im Mai 1925 während einer Vorlesung an einer Hirnblutung verstarb. Hachiko starb im Jahr 1935. Das Lebens des Hundes wurde seitdem mehrfach verfilmt.
Kurioserweise ist das Hachiko-Denkmal ist ein beliebter Treffpunkt, obwohl ich es für problematisch halte, genau dort Jemanden zu finden. Die Statue ist fast ständig umringt von Menschen und Besucher stehen an, um sich zusammen mit dem Hund zu fotografieren. Vermutlich gehört ein Foto mit Hachiko zu den Dingen, die man in Tokio unbedingt tun sollte. Selbstverständlich haben wir auch so ein Foto!
Ebenfalls auf dem Bahnhofsvorplatz, in direkter Nachbarschaft zur Hachiko-Statue, steht ein grüner Eisenbahnwaggon, der es ebenfalls zu einer gewissen Bekanntheit gebracht hat. Der als Aogaeru (Grüner Frosch) bezeichneter Wagen beherberg die Touristeninformation von Shibuya. Es gibt jedoch Pläne, mit dem Wagen umzuziehen. Ziel ist die Stadt Odate, dem Geburtsort von Hatchiko.

Shibuya Crossing

Nur wenige Schritte vom treuen Hachiko liegt die fast legendäre Shibuya Crossing von der einige Quellen behaupten, sie wäre die belebteste Straßenkreuzung der Welt. Bis zu 2500 Fußgänger sollen zu Spitzenzeiten die Straßen während einer Ampelphase überqueren. Vermutlich hat sich noch niemand die Mühe gemacht, den Durchsatz von verschiedenen Kreuzungen weltweit tatsächlich zu vergleichen, berühmt ist die Kreuzung aber zweifellos. Viele Filme, die in Tokio spielen, zeigen zumindest ein Mal diese Kreuzung. Beispielsweise hatte die Shibuya Crossing Auftritte in den Filmen »Lost in Translation« und »The fast and the Furious: Tokyo Drift«. In »Resident Evil: Afterlife« hat die fiktive Firma Umbrella Corporation eine Niederlassung direkt unter der Kreuzung.
Großen Menschenmengen sind in Tokio kein Grund zur Besorgnis und genau so ist es an der Shibuya Crossing. Der typische Japaner ist diszipliniert. Zeigt die Ampel rot, steht man. Zeigt die Ampel grün, geht man. Niemand käme auf den Gedanken, gegen diese Regel zu verstoßen. Es wäre, angesichts des Straßenverkehrs zur Hauptverkehrszeit, auch keine gute Idee. Wie ich beobachten konnte, führen die Fußgänger dieses Verhalten auch in tiefster Nacht fort, wenn sie alleine auf den Straßen sind. Nach einem Besuch des Hachiko-Denkmals gehört die Überquerung der Kreuzung ebenfalls zu den Dingen, die ein Besucher in Tokio tun sollte.

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Shibuya Crossing mit dem QFRONT Gebäude

QFRONT

Einer der Fußgängerüberwege der Kreuzung führt direkt zu dem QFRONT Hochhaus, einem Einkaufszentrum, in dem mehrere Geschäfte untergebracht sind. Den Großteil des Gebäudes belegt eine Filiale der Kette TSUTAYA, einer guten Anlaufstelle bei der Suche nach aktueller japanischer Rock und Pop Musik. Gelegentlich gibt es im Ladenlokal verschiedene kleine Veranstaltungen. Beispielsweise wurden die Kostüme der Sängerin LiSA nach ihrer Konzerttour 2018 dort ausgestellt.
Ebenfalls im QFRONT befindet sich eine beliebte Filiale von Starbucks Coffee. Obwohl die Sitzplätze am Fenster begehrt sind, hatte ich schon bei meinem ersten Besuch Glück. Ich fand eine Lücke unter dem O es Schriftzugs Coffee mit einem Blick auf die Shibuya Crossing. Leider war es ein regnerischer Tag und von den 2500 Fußgängern pro Ampelphase waren wohl die meisten zuhause geblieben.

Hinauf die Koen Dori

Vom QFRONT Gebäude führen zwei Straßen nach Norden. In nordwestlicher Richtung die Shibuya Center-Gai und mehr oder weniger exakt nach Norden die Koen Dori. Folgt man der Koen Dori, stößt man nach 50 Metern auf der rechten Straßenseite auf eine Filiale der Schnellrestaurantkette McDonalds. Das ist in Tokio nichts Besonders, auch in Japan ist diese Marke beliebt. Allerdings habe ich bei einem Besuch dort zum ersten Mal realisiert, wie unterschiedliche das Angebot in Japan ist. Zwar gab es die mir vertrauten Gerichte, aber passend zum Halloweenfest wurden die Pomes Frittes mit einer Kürbis-Schokoladen-Sosse angeboten. Das ist zweifellos nicht jedermanns Geschmack, für den experimentierfreudigen Reisenden aber definitiv einen Versuch wert. Das Restaurant ist ebenfalls ein Ort, an dem einem Fremden bewusst wird, wie viele Menschen in Tokio tatsächlich leben. Obwohl es sich über mehrere Etagen erstreckt, war es für uns nie einfach, im Restaurant einen Platz zu finden. Die meisten Gäste waren Jugendliche, von denen viele an ihren Mobiltelefonen spielten.

Halloween ist ein Thema, das in Zusammenhang mit Shibuya erwähnt werden sollte. Das Fest wird in diesem Stadtteil ausgiebig gefeiert und das nicht nur durch seltsame Sossen. Zwar konnte ich bisher nicht persönlich an dieser riesigen Party teilnehmen, Videos im Internet zeigen aber gut, was dort passiert. Unzählige Menschen, die meisten davon in Kostümen, haben die ganze Nacht großen Spaß.

Tower Records

Nach etwa 200 Meter biegt die Koen Dori in nordwestlicher Richtung ab, weiter nach Norden führt die Shrine Street. Jetzt sind es nur noch ein paar Schritte, denn was wäre ohne ein Ausflug nach Shibuya, ohne einen Besuch bei Tower Records?

Mit einer Verkaufsfläche von 5.000 m² in neun Stockwerken ist Tower Records in Shibuya angeblich eines der größten Geschäfte für Musik weltweit. Definitiv ist es das größte Geschäft dieser Art, in dem ich jemals war. Das Angebot ist gigantisch und die verschiedenen Stockwerke sind nach Musikrichtungen unterteilt. In die gewünschte Etage zu kommen, ist für einen Europäer noch einfach, aber ich muss gestehen, mir ist es immer nur durch Zufall gelungen, einen gesuchten Artikel eigenständig zu finden. Die Art und Weise, wie die Regale sortiert sind, entzieht sich bis heute meinem Verständnis. Vermutlich wären grundlegende Kenntnisse der japanischen Sprache von Vorteil. Glücklicherweise ist das Personal bei Tower Records außerordentlich hilfreich. Nachdem man erklärt hat, was man gerne möchte, holen sie den gewünschten Artikel oder führen den Kunden zum gesuchten Regal. Vor meinem zweiten Besuch hatte ich den Titel einer CD zuvor auf meinem Mobiltelefon gespeichert, den ich vor Ort einer jungen Verkäuferin zeigte. Sie machte sich umgehend auf, den Artikel im Computer zu suchen. Anschließend sprintete sie los, um die CD zu holen. Eine Kundenbetreuung, wie man sie sichin Deutschland oft wünschen würde. Außerdem bekamen wir bei unseren Einkäufen gelegentlich Gutscheine für kostenlose Fanartikel, zum Beispiel Poster oder Postkarten. Diese konnten wir nach dem Kauf im Erdgeschoss einlösen. Tower Records verkauft auch Fanartikel der eigenen Marke. Kurioserweise gehören dazu auch Handtücher.

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Tower Records : Angeblich das weltgrößte Geschäft für Musik

Vor dem Geschäft von Tower Records steht eine weitere Hachiko-Statue, auf einem Sockel mit dem Slogan des Geschäftes: "No Music, No Life". Dieser Hachiko hat ebenfalls sein typisches abgeknicktes Ohr, außerdem ist er mit dem Körper zur Seite geneigt. Es wirkt fast so, als wollte der Hund der Musik zuhören. Der Eingang von Tower Record ist dafür ein idealer Ort. In den Schaufenstern werden ständig Videos von aktuell angesagten Künstlern gezeigt. Hachiko schaut jedoch lieber zur Straße. Vielleicht ist es ihm doch zu viel Trubel.

Ein Tag in Shibuya kann anstrengend sein und bevor die Wanderung weiter geht, ist vielleicht eine Stärkung nötig. Empfehlen kann ich eine Filiale von Tully's Coffee, etwa 100 Meter in nördlicher Richtung von Tower Records die Shrine Street hinauf, die dort Fire Street heißt. Dieses Caffee ist in kleinster Weise besonders. Bemerkenswert ist lediglich der Umstand, dass wir bei unseren Besuchen in Shibuya bereits mehrere Male dort eingekehrt sind und das Lokal inzwischen gut kennen. Es gibt dort die typische Auswahl an Getränken und Gebäck, die man von einem Cafe in einer Großstadt erwarten kann. Erwähnenswert ist der abgetrennte Bereich für Raucher.

Yoyogi Park und Yoyogi National Gymnasium

Nördlich der belebten Einkaufsstraßen von Shibuya liegt der Yoyogi Park, in dem es erheblich ruhiger zugeht. Mit einer Fläche von über 540.000 m² ist der Park einer der größten Grünanlagen im Stadtgebiet von Tokio und bei gutem Wetter ein wundervolles Erholungsgebiet. Besonders zur Zeit der Kirschblüte ist es ein beliebtes Ziel. Ein Picknick unter den Bäumen wird dann schon fast zur Pflicht.
Allerdings war das Gelände nicht immer so idyllisch, wie man es heute vorfindet. Nach dem Zweiten Weltkrieg diente ein Teil der Fläche des heutigen Parks als Unterkunft für die amerikanischen Besatzungstruppen. Die militärische Nutzung hielt glücklicherweise nicht lange an. Schon im Jahr 1964 wurde ein Teil der errichteten Häuser, die unter dem Namen Washington Heights bekannt waren, zu Unterkünften für die Teilnehmer der Olympischen Spiele in Tokio. Der Ort bot sich an, denn ein Teil der Wettkämpfe fanden im nahegelegenen und neu errichteten Yoyogi National Gymnasium statt. Architekt dieser Sportstätte war Kenzo Tange, der in den folgenden Jahren das Tokyo Metropolitan Government Building und das bemerkenswerte Gebäude von Fuji TV auf der Insel Odaiba entwerfen sollte. Zu einem Park wurde das Gelände im Oktober 1967.
Wenn man der Wikipedia glauben darf, ist der Yoyogi Park ein beliebter Treffpunkt für Musik- und Tanzgruppen. Tatsächlich konnten wir an einem Abend einen Gruppe Tänzer beobachten, die einen professionellen Eindruck machten. Leider war es bei unseren Besuch im Park schon sehr spät und der Auftritt war für uns nur von kurzer Dauer.

Meiji-Schrein und Harajuku Station

Nördlich des Yoyogi Park befindet sich eine weitere Grünanlage von vergleichbarer Größe. Es ist das Gelände des Meiji-Schrein, der dort ursprünglich zwischen 1912 und 1920 errichtet wurde. Leider handelt es sich bei dem heutigen Schrein nur um eine Rekonstruktion. Die ursprüngliche Anlage wurde am 1. April 1945 durch amerikanische Bomben zerstört. Trotzdem ist das Gelände immer ein lohnenswertes Ziel, um im Dschungel der Metropole zur Ruhe zu kommen. Beliebt ist, neben dem Schrein, der Wald der Anlage. Er besteht aus 120.000 immergrünen Bäumen, die von Menschen aus allen Teilen Japans gespendet wurden. Über 350 verschiedene Arten kamen auf diesem Weg zusammen.

Obwohl sie eine lange gemeinsame Grenze haben ist es nicht möglich, an beliebiger Stelle vom Yoyogi Park in das Gelände des Meiji-Schrein zu wechseln. Das funktioniert nur an den Ein- und Ausgängen, zum Beispiel in der Nähe der Harajuku Station. Dieser beliebte Bahnhof wurde bis zum März 2020 aufwändig umgebaut, genauer gesagt, die Stadt hat eine komplett neue Station errichtet. Das historische Bahnhofsgebäude aus dem Jahr 1925 war leider für die Menschenmassen des modernen Tokio nicht mehr zeitgemäß. Außerdem war die Holzstruktur der Station nicht feuerfest.

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Der Meiji-Schrein im Yoyogi Park

Die Einkaufsstraße Takeshita Dori

Nur wenige Meter von der Harajuku Station entfernt liegt die berüchtigte Einkaufsstraße Takeshita Dori. Eine wilde Aneinanderreihung von kleinen Geschäften in bunten Farben, die angeblich besonders von jungen Mädchen besucht werden. Wenn es in Tokio einen neuen Trend gibt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er in der Takeshita Dori seinen Ursprung hat. Hier findet man Popkultur in komprimierter Form, denn die enge Straße kann den Ansturm von Menschen zu Spitzenzeiten kaum standhalten. Es ist ein starker Gegensatz zu den weitläufigen Flächen des nahegelegenen Yoyogi Park und des Meiji-Schrein. Trotzdem würde ich die Straße als typisch für Tokio bezeichnen. Sie ist einer der Gegensätze, die überall in der Stadt finden sind. Neu und alt existieren in unmittelbarer Nähe.
Bekannt ist die Straße außerdem für süße Crepes, die dort in großen Mengen verkauft werden. Diese Süßspeise findet man zwar an vielen Ort in Tokio, in der Takeshita Dori bilden sich aber nicht selten Schlangen vor den Geschäften. Mein persönlicher Favorit ist Crepes mit Vanilleeis, Erdbeeren und Sahne. Ungewöhnlichere Kompositionen beinhalten nicht selten Käsekuchen oder Matcha Tee.


Geschrieben am: 19.06.2020
Tags: Japan, Tokio, Reisen, Asien