Über lange Strecken hinweg war mein Berufsleben vollkommen durchschnittlich. Die üblichen Probleme und die üblichen Reibereien mit den Kollegen und den Kunden. Gelegentlich ergaben sich jedoch unerwartet Situationen, die so absurd waren, man hätte sie sich selbst mit viel Fantasie nicht ausdenken können. Es sind die Geschichten, die man nie wieder vergisst. Die folgende Erzählung ist wahr und hat sich tatsächlich so zugetragen. Nur den Namen des Betroffenen habe ich geändert. Wir hatten im Unternehmen ein CRM-System, in dem sämtliche Daten von Kunden und Interessenten hinterlegt waren. Nicht nur die Stammdaten der Unternehmen, auch die Kontaktdaten der Mitarbeitern, mit denen wir im Unternehmen schon zu tun hatten. Diese Daten waren auch außerhalb des CRM-Systems nutzbar. Unsere Software, mit der wir Lizenzen für unsere Produkte generieren, griff ebenfalls auf diese Informationen zu. Ein Lizenzschlüssel wurde immer aus den Vornamen und dem Nachnamen erzeugt und war auch nicht auf eine andere Person übertragbar. Die Richtigkeit der Daten war daher im Interesse aller Mitarbeiter. Das dachte ich zumindest, bis ich eines Besseren belehrt wurde. Es schien ein normaler Tag zu werden und ich hatte die Aufgabe übernommen, für einen neu gewonnenen Kunden die Lizenzen anzulegen. Nichts Ungewöhnliches, das hatte ich duzende Male getan. Die Angaben, die für den Mitarbeiter hinterlegt waren, ließen mich erschrocken zusammenzucken. Vorname: Ralf Nachname: Humpert (Stottert sehr, am besten alles per Mail) Ich wollte meinen Augen nicht trauen und zog sofort einen Kollegen hinzu. Sollte es Herrn Humperts Präferenz sein, sämtliche Kommunikation am liebsten per Mail zu führen, wäre es sinnvoll, seinen Wunsch zu vermerken. Die Information im Nachnamen zu hinterlegen, hielten wir beide aber für eine unglaubliche dumme Idee. Sollte der Nachname nicht korrigiert werden, würde Herr Humpert die Bemerkung über sein Stottern auch in seinem Lizenzschlüssel wiederfinden. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ihn dies erfreuen wurde. Nach einer kurzen Abstimmung beschlossen mein Kollege und ich mit der verantwortlichen Sachbearbeiterin zu sprechen. Sie zeigte sich allerdings überhaupt nicht einsichtig. Sämtliche Versuche, sie zum Umdenken zu bewegen, scheiterten. Mein Hinweis, für solche Informationen das Notizenfeld bei den Personendaten zu verwenden, kommentierte sie mit: »Das ist mir zu weit rechts. Dann muss ich zu viel scrollen.« Selbst als ich ihr erklärte, der Zusatz »Stottert sehr, am besten alles per Mail« würde auch auf der Weihnachtskarte an Herr Humpert auftauchen - zu diesem Zeitpunkt wurden vom Unternehmen noch Karten per Briefpost versendet - beeindruckte sie nicht. Ihre Antwort war: »Ich habe das immer so gemacht und ich mache das auch weiterhin so!« Diese Aussage mussten wir erst einmal verkraften. Kennen Sie das Sprichwort »Gehe nicht von einem Vorsatz aus, wenn du es mit Dummheit erklären kannst.« Ich würde behaupten, wenn eine Person nach einer Belehrung an seiner Vorgehensweise festhält, ist es ein Vorsatz! Zu diesem Zeitpunkt sahen mein Kollege und ich daher keine andere Möglichkeit als zu resignieren und den Umstand an unsere Vorgesetzten zu melden. Die Hoffnung war, die Sachbearbeiterin würde belehrt oder irgendwie anders zur Rechenschaft gezogen. Immerhin hatte sie mit Vorsatz gehandelt und hielt, selbst nachdem wir sie auf die Probleme aufmerksam gemacht hatten, an ihrer Vorgehensweise fest. Die potentiellen Folgen ihrer Handlung ignoriert sie. Wir hofften auf Besserung, doch es passierte nichts. Die Geschichte könnte hier enden doch einige Tage später berichtete ich einer guten Bekannten von dem Vorfall. Sie war selbst auch in einer Führungsposition tätig und ebenfalls vom Verhalten der Sachbearbeiterin schockiert. In unserem Gespräch lernte ich von ihr ein Wort, das ich bis dahin nicht kannte: Konsequenzkultur. Das klangt für mich interessant genug, um mich weiter mit dem Thema zu beschäftigen. Die Aufgabe einer Konsequenzkultur ist nicht, Mitarbeiter für Fehler an den Pranger zu stellen oder zu bestrafen. Stattdessen geht es darum, aus den Fehlern zu lernen und einen Mehrwert zu generieren. In diesem Fall also allen Mitarbeitern unmissverständlich zu erklären, warum Bemerkungen nicht in das Feld für den Nachnamen im CRM-System eingetragen werden sollen. Vermutlich waren den meisten Mitarbeitern die Zusammenhänge mit den Lizenzschlüsseln und den Weihnachtskarten überhaupt nicht bewusst. Für sie ist es deshalb kein Problem, wichtige Informationen an beliebigen Stellen zu hinterlegen. Eine Unterweisung wäre also zwingend notwendig. Was bei weiteren Verfehlungen geschehen soll, ist eine andere Geschichte. Wie zuvor erwähnt, wurden hier keinerlei Konsequenzen gezogen. Die Geschäftsführung hat das Problem möglicherweise nicht verstanden oder wollte sich nicht damit beschäftigen. Weil die Sachbearbeiterin schön ankündigte, auch weiterhin so zu arbeiten, kann man davon ausgehen, dass sie es tatsächlich tat. Das kann ich jedoch nur vermuten. Ich habe das Unternehmen inzwischen verlassen.
Geschrieben am: 24.01.2024